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Cerebral organoids: human mini brains in a dish open up new possibilities for drug development in neurodegenerative and developmental diseases

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Hirnorganoide: eine innovative Behandlung für neurologische Erkrankungen

Vermutlich wird die Möglichkeit, menschliches Gewebe künstlich in einer Petrischale erzeugen zu können, die biomedizinische Forschung revolutionieren. Europäische Forscher haben nun Hirnorganoide entwickelt, um die Mechanismen verschiedener neurologischer Erkrankungen zu untersuchen und neuartige Arzneimittel für deren Behandlung zu finden.

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In der pharmazeutischen Forschung kommen üblicherweise Tiermodelle und konventionelle Zellkulturverfahren zum Einsatz, um Krankheiten auf den Grund zu gehen. Grundlegende Unterschiede in den entwicklungsbedingten und physiologischen Aspekten zwischen dem Menschen und den am häufigsten eingesetzten Tiermodellen stellen jedoch einen wesentlichen Engpass dar. Gerade bei Hirnerkrankungen wie den neurodegenerativen und entwicklungsbedingten Erkrankungen gelingt es mit Hilfe der existierenden Verfahren nicht, die Komplexität des menschlichen Gehirns nachzuvollziehen. Deshalb schränken große Pharmaunternehmen ihre Forschung bereits massiv ein. Um dieses Problem lösen zu können, haben die Wissenschaftler des vom EFR finanzierten Mini Brains-Projekts ein von Stammzellen abgeleitetes dreidimensionales Organoid-Kultursystem, sogenannte Hirnorganoide, entwickelt. „Die Idee bestand darin, diese Hirnorganoide als ein sehr kostengünstiges Instrument bei der Entdeckung und Entwicklung von Therapien für neurodegenerative und entwicklungsbedingte Erkrankungen einzusetzen“, erklärt Projektleiter Dr. Jürgen Knoblich. Technologie der Hirnorganoide Die Forscher kultivierten humane embryonale Stammzelllinien und induzierten unter bestimmten Wachstumsbedingungen pluripotente Stammzellen, um die Ausdifferenzierung in verschiedene Hirngewebe zu fördern. Insbesondere erzeugten sie in vitro eine primitive Zellschicht, das Neuroektoderm, von dem das Nervensystem abstammt, und hielten es in einem speziellen Gerüst, um das komplexe Gewebewachstum zu unterstützen. Nach ungefähr 20 Tagen Kultur in einem Bioreaktor bildete sich neuroepitheliales Gewebe, das einen mit Flüssigkeit gefüllten Hohlraum umgibt, der an eine Hirnkammer erinnert. „Zehn Tage später entwickelten sich definierte Hirnregionen, etwa Großhirnrinde, Netzhaut, Hirnhäute und das Adergeflecht Plexus choroideus“, fährt Dr. Knoblich fort. Obwohl die Gehirne im Bioreaktor auf unbestimmte Zeit überleben könnten, verhinderte der fehlende Blutkreislauf ein weiteres Wachstum. Klinisches Potenzial von Hirnorganoiden Die Wissenschaftler waren in der Lage, an Mikrozephalie erkrankte Organoide heranzuzüchten. Bei dieser genetischen Erkrankung des Menschen ist die Größe des Gehirns deutlich reduziert. Interessanterweise beobachteten sie, dass das neuroepitheliale Gewebe im Vergleich zu normalen Organoiden kleiner war, während die Mikrozephalie-Organoide ein verstärktes neuronales Wachstum aufwiesen. Das ließ Dr. Knoblich und sein Team darauf schließen, dass bei den Mikrozephaliepatienten die neuronale Differenzierung während der Gehirnentwicklung auf Kosten der Stamm- und Vorläuferzellen zu früh erfolgt, was die Größe des Hirns beeinträchtigt. In einem weiteren Projektteil untersuchten die Forscher anhand von Organoiden komplexe Wechselwirkungen wie beispielsweise Zellmigration und Axonwachstum zwischen verschiedenen sich entwickelnden Hirnregionen. Schwerpunkt waren die hemmenden GABAergen Interneuronen, die eine zentrale Rolle bei der Regulierung der Hirnaktivität spielen und im Zusammenhang mit Epilepsie, Schizophrenie und Autismus stehen. Von Natur aus treten diese Interneuronen in einem ventralen Teil des menschlichen Gehirns auf und wandern über eine weite Strecke in die dorsalen Regionen. Schlägt diese Wanderung, die durch verschiedene chemische Signale wie etwa CXCR4 gesteuert wird, fehl, können epileptische Anfälle auftreten. Zudem banden die Forscher das Bioengineering ein, um die Architektur der Organoide zu verbessern. Sie verwendeten Mikrofilamente zur Erzeugung schwimmender Gerüste, die ihre selbstorganisierenden Eigenschaften beibehielten, aber eine verbesserte Struktur hatten. Der Einsatz patientenspezifischer Hirnorganoide für Forschung und Arzneimittelscreening stellt eine Alternative zu Tierversuchen dar, wobei Kosten gesenkt und Tierversuche reduziert werden. Außerdem bergen sie das Potenzial für eine Kosteneindämmung in der Medikamentenentwicklung, eine verringerte Belastung durch Erkrankungen des Gehirns sowie eine Steigerung der Quote zugelassener Medikamente gegen Hirnerkrankungen. „Das klinische Potenzial der Hirnorganoide ist enorm; erstmalig können wir Organoide entwickeln, die dem Blut oder Hautzellen der Patienten entstammen. Daraus werden neue Erkenntnisse über die Mechanismen erwachsen, die zu neurologischen Störungen führen“, sagt Dr. Knoblich voraus. Von dem neuen EFR-finanzierten Projekt Mini Brain erhoffen sich die Wissenschaftler, die neurologische Forschung einen Schritt voranzubringen.

Schlüsselbegriffe

Mini Brains, Gehirn, Hirnorganoide, Interneuronen, Mikrozephalie

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