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Vernachlässigte Krankheiten rücken endlich ins Scheinwerferlicht

"Es ist Zeit, dass wir uns endlich stärker um die vernachlässigten Krankheiten kümmern und damit allen, die unter ihnen leiden - und zu oft sterben -, echte Hoffnung geben können." Das forderte der britische EU-Parlamentsabgeordnete John Bowis von Vertretern von Regierungen, P...

"Es ist Zeit, dass wir uns endlich stärker um die vernachlässigten Krankheiten kümmern und damit allen, die unter ihnen leiden - und zu oft sterben -, echte Hoffnung geben können." Das forderte der britische EU-Parlamentsabgeordnete John Bowis von Vertretern von Regierungen, Pharmaunternehmen und gemeinnützigen Organisationen, die am 8. November in Brüssel am ersten Tag einer internationalen Konferenz über vernachlässigte Infektionskrankheiten (neglected infectious diseases - NID) teilnahmen. Buruli-Ulkus, Dengue-Fieber, Leishmaniose, Flussblindheit, Schistosomiasis, Schlafkrankheit und Chagas sind nur einige der Infektionskrankheiten, denen in den Entwicklungsländern heute ganze Bevölkerungen zum Opfer fallen. Diese Krankheiten gelten als "vernachlässigt", weil sie zwar Schätzungen zufolge Jahr für Jahr 500 000 Todesfälle fordern und Millionen von Behinderungen verursachen, aber dennoch weniger als zehn Prozent der biomedizinischen Forschungsgelder weltweit für sie aufgewendet werden. Zwischen 1975 und 1999 wurden von den 1 393 Medikamenten, die neu auf den Markt gekommen sind, nur 13 für die Behandlung von Tropenkrankheiten zugelassen. Gleichzeitig gelten einige der Medikamente, die derzeit verfügbar sind, als hoch toxisch, unwirksam oder schwierig zu verabreichen. "Das ist ein Ungleichgewicht, mit dem wir nicht leben können", sagte Bowis, gesundheitspolitischer Sprecher der Europäischen Volkspartei und europäischen Demokraten (EVP-ED). Der Abgeordnete hatte schon 2005 in seinem Parlamentsbericht auf dieses Ungleichgewicht hingewiesen und damit sowohl der Debatte um die Folgen dieser Krankheiten einen neuen Schub gegeben als auch die Europäische Kommission veranlasst, eine Konferenz zu diesem Fragenkomplex zu veranstalten. Ein Großteil der Mittel und Unterstützung für die Bekämpfung von Infektionskrankheiten ist in den letzten Jahren in die drei großen Killerkrankheiten - HIV/AIDS, Malaria und Tuberkulose - geflossen. "Die internationale Gemeinschaft konzentriert sich zu Recht auf die Prävention und Heilung dieser Krankheiten", so Bowis. "Dabei sollte sie jedoch nicht vergessen, dass mindestens eine Milliarde Menschen - das ist ein Sechstel der Weltbevölkerung - unter einer oder mehreren der vernachlässigten Tropenkrankheiten leiden. Die Belastung durch diese Krankheiten - von denen einige AIDS und TB verstärken - ist unkalkulierbar." Trotz dieser schier unbezwingbaren Herausforderung wurden bereits einige Fortschritte erzielt - sowohl im Kampf gegen die Krankheiten selbst als auch bei der Sensibilisierung, dass diese Krankheiten weiterer Forschung und Entwicklung bedürfen. 1975 legten verschiedene Organisationen, darunter UNICEF, die Weltbank und die Weltgesundheitsorganisation (WHO), gemeinsam mit Regierungen, Stiftungen und Unternehmen ein spezielles Programm für Forschung und Schulung zu Tropenkrankheiten auf, das bis heute sechs Medikamente zur Behandlung einiger dieser Krankheiten auf den Markt gebracht hat. Im Jahr 2003 wurde die Initiative "Medikamente für vernachlässigte Krankheiten" (Drugs for neglected disease initiative -DNDi) gestartet. Sie hat sich angesichts der Tatsache, dass diese Krankheiten keinen gewinnträchtigen Markt darstellen und damit von der marktgetriebenen Forschung und Entwicklung (F&E) ignoriert werden, zum Ziel gesetzt, Medikamente und andere Gesundheitsmaßnahmen für Menschen zu entwickeln, die an diesen Krankheiten leiden. Schätzungen der Initiative zufolge wird die Entwicklung dieser Medikamente über die nächsten zehn Jahre 250 Mio. EUR kosten. "Es wurden zwar Fortschritte erzielt, dennoch bin ich der Ansicht, dass wir eine breitere Palette von Krankheiten dringend angehen müssen, wenn wir die Belastung, die diese Krankheiten sowohl für die Wirtschaften als auch für die Menschen in Ländern mit geringem Einkommen darstellen, beseitigen und die Grundvoraussetzung für ökonomische Gesundheit, nämlich menschliche Gesundheit, gewährleisten möchten", unterstrich Bowis. Mit Blick auf die Europäische Kommission begrüßte Bowis deren Bemühungen, die Forschung zu Prävention, Diagnose und Behandlung der NID stärker zu unterstützen. Er hob insbesondere die wichtige Arbeit des Programms für internationale wissenschaftliche Zusammenarbeit (INCO) unter dem Fünften und dem Sechsten Rahmenprogramm (RP5 und RP6) hervor. Beide Rahmenprogramme stellten insgesamt 70 Mio. EUR für mehr als 50 Projekte zu vernachlässigten Krankheiten zur Verfügung, an denen öffentliche und private Partner aus Industrie- und Entwicklungsländern beteiligt waren. INCO ist damit eines der wenigen internationalen Forschungsförderprogramme, das nicht nur dauerhaft die Bekämpfung spezifischer Krankheiten, sondern auch Gesundheitssysteme und Gesundheitsdienste, die sich mit Fragen der Krankheitskontrolle befassen, unterstützt. Bowis begrüßte auch die Tatsache, dass im RP7 vernachlässigte Krankheiten explizit genannt werden und dass das Programm "translationale Forschung" betont. Dies, so Bowis, sei "genau die Art von Forschung, die notwendig ist, um einen Großteil der wissenschaftlichen Forschung, die an Instituten und Universitäten geleistet wurde, durch die F&E-Pipeline klinischer Tests zu schieben und in fertige und vertriebene Medikamente umzusetzen". Über das RP7 hinaus, so der Abgeordnete, könnte die Kommission über die Ausweitung der EDCTP nachdenken, der Partnerschaft zwischen europäischen und Entwicklungsländern zur Durchführung klinischer Tests. Die EDCTP entwickelt derzeit neue und verbesserte Medikamente und Impfstoffe lediglich gegen HIV/AIDS, Malaria und TB, könnte aber, so Bowis, einige der vernachlässigten Krankheiten in ihr Programm aufnehmen. "Wir müssen das 'E' in F&E stärker betonen", forderte Bowis. "[...] Politik hat sich bis jetzt tendenziell darauf konzentriert, die Forschung voranzutreiben, aber die Entwicklung wurde oft nicht unterstützt." Auf Initiativen, an denen sich sowohl öffentliche als auch private Partner beteiligen, müsse ein stärkeres Augenmerk gelegt werden. "Wir müssen das Beste, was der öffentliche Sektor (im 'F'-Bereich) zu bieten hat, mit der besten 'E' im Privatsektor verbinden und erfolgreiche Modelle auf die am stärksten vernachlässigten Krankheiten anwenden", fügte er hinzu. Aber die Vermarktung von Medikamenten ist wenig sinnvoll, solange die Gesundheitssysteme und -infrastrukturen nicht funktionieren. "In vielen Entwicklungsländern stehen dem Gesundheitswesen kaum Ressourcen zur Verfügung", erklärte Bowis. Er untersicht, dass einerseits die Länder selbst mehr investieren müssen und dass andererseits die internationale Gemeinschaft diese Bemühungen mit langfristiger und mit technischer Hilfe unterstützen müsse, einschließlich der Ausbildung von Gesundheitsarbeitern auf lokaler Ebene. Auch müssten Zugangsprobleme gelöst werden, zum Beispiel internationale und nationale Preispolitiken, Zölle, Steuern und die Umsetzung von geistigen Eigentumsrechten. Was die Preise betrifft, so verwies Bowis auf einen Vorschlag von Pascal Lamy, dem Generaldirektor der Welthandelsorganisation. Lamy forderte die Entwicklungsländer auf, ihr Recht unter dem TRIPS-Abkommen (Trade-Related Aspects of Intellectual Property Rights - handelsbezogene Aspekte geistiger Eigentumsrechte), Zwangslizenzen für Medikamente zur Behandlung der Killerkrankheiten zu erteilen, in Anspruch zu nehmen. Dies habe bis jetzt noch kein Land getan. "Allein die Androhung [von Zwangslizenzen] könnte den Druck auf die Pharmaunternehmen, die Preise zu senken, verschärfen", mutmaßte Bowis. Octavio Quintana Trias, Direktor für Gesundheit in der Generaldirektion Forschung der Europäischen Kommission, sagte ebenfalls am ersten Tag der Konferenz, dass das RP7 dazu beitragen werde, mehr Synergien zwischen der internationalen Arbeit zu vernachlässigten Krankheiten und der übrigen medizinischen Forschung zu schaffen, da die INCO-Gesundheitsaktivitäten zum ersten Mal in den größeren Kontext der Gesundheitsprogramme eingebettet würden. "Dadurch werden [die vernachlässigten Krankheiten] sichtbarer - was immer wichtig ist, wenn es um Forschung geht, die Unterstützung und mehr Mittel braucht", so Quintana Trias. "Wir beginnen eine langfristige Investition in die Forschung zu vernachlässigten Infektionskrankheiten, und wir freuen uns darauf, mit Ihnen [den Akteuren] an dieser Herausforderung zu arbeiten", schloss er.

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