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Inhalt archiviert am 2024-04-18

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Eine stärkere europäische XR-Gemeinschaft nimmt Gestalt an

Wie können europäische Beteiligte im Markt für Extended Reality ihren Platz an der Sonne finden? Diese Frage stand im Mittelpunkt des Projekts XR4ALL, das die Branche mithilfe einer Gemeinschaftsplattform und Finanzhilfe für innovative Start-up-Unternehmen fördern wollte.

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Das Konzept der Extended Reality (XR) – die die virtuelle Realität (VR), erweiterte Realität (Augmented Reality, AR) und gemischte Realität (Mixed Reality, MR) umfasst – erfreut sich zwar in bestimmten Märkten großer Beliebtheit, den meisten Privatpersonen ist es jedoch immer noch fremd. Folglich ist ein internationales Wettrennen im Gange, um nicht nur Erfahrungen zu schaffen, die so immersiv sind, wie es nur geht, sondern auch eine neue Generation an Geräten zu entwickeln, die die Kundschaft bereitwillig erwirbt und ihr nicht zu kompliziert sind. Das Problem ist nur, dass Europa dabei immer noch weit von einem Führungsplatz entfernt ist. Um die europäische XR-Branche zu stärken, hat die Europäische Kommission dem Projekt XR4ALL (eXtended Reality for All) Finanzmittel bereitgestellt. Die Initiative hat innovativen Start-up-Unternehmen unter die Arme gegriffen und eine starke XR-Gemeinschaft in einem Bereich gefestigt, der sonst äußerst fragmentiert ist. Oliver Schreer, Leiter der Gruppe Immersive Medien und Kommunikation am Fraunhofer Heinrich-Hertz-Institut und Koordinator von XR4ALL erklärt, wie das Projekt zu einer stärkeren XR-Gemeinschaft beigetragen hat und wie es diese Arbeit auf absehbare Zukunft fortführen wird.

Ihr Projekt trägt den Namen „eXtended Reality for All“. Abseits einiger Nischenanwendungen scheint es der Branche immer noch schwer zu fallen, Produkte zu entwickeln, die XR massenkompatibel werden lassen. Woran fehlt es dafür Ihrer Meinung nach?

Oliver Schreer: Im Sektor der Industrie 4.0 kommt die XR weitläufig zum Einsatz, beispielsweise in der Wartung, der Reparatur, der Montage und Qualitätssicherung, aber auch im Gesundheitswesen bei Schulungen oder für prä-, intra- und post-operative Anwendungen. Es ist jedoch eine Tatsache, dass der Massenmarkt für Einzelpersonen nicht im selben Maß erschlossen wurde. Aus technologischer Sicht müssen das Tracking und die Sensorik noch weiter verbessert werden, wenn AR-Anwendungen salonfähiger und benutzerfreundlicher werden sollen. Die Brillen müssen leichter und günstiger werden, um sich auf dem Massenmarkt durchsetzen zu können. Ein weiteres erhebliches Problem besteht in dem Mangel an Interoperabilität, die für einen weitläufigen Technologieeinsatz und ein gesundes Ökosystem mit einer breiten Palette an Technologieangeboten unerlässlich ist.

Warum gelingt es den Vereinigten Staaten besser, diese Hindernisse zu überwinden?

Die Vereinigten Staaten und auch asiatische Unternehmen sind aktuell im Hardware-Sektor führend. Das trifft besonders auf den Markt für am Kopf befestigte Geräte (head-mounted devices, HMDs) zu. Alle bedeutenden Geräte dieses Bereichs werden in diesen Regionen hergestellt. Allerdings drängt zurzeit VARIO aus Norwegen mit vielversprechenden, qualitativ hochwertigen Geräten auf den HMD-Markt.

Wie kann eine geeinte XR-Gemeinschaft Europa dabei helfen, aufzuschließen?

Bei der Betrachtung der europäischen XR-Landschaft sticht eine äußerst ausgeprägte Fragmentierung der Richtlinien und Technologieentwicklungen ins Auge sowie ein Mangel an Finanzierungsmaßnahmen. Obwohl XR-Technologien noch nicht ganz massenkompatibel sind, reden wir hier trotzdem von einer Branche mit Hunderten Unternehmen, Zehntausenden Arbeitskräften und bisherigen Investitionen im Wert von über 4 Mrd. EUR. Diesem Sektor steht eine strahlende Zukunft bevor, sofern er sich die nötige Finanzierung sichern kann, besonders für Start-ups und Jungunternehmen. Zu den Stärken Europas zählen die Kreativität und die kulturelle Vielfalt. Daher sind wir davon überzeugt, dass eine zentrale Anlaufstelle für den Austausch von Arbeitskräften zwischen Unternehmen und der akademischen Welt auf der einen Seite und jungen Talenten, Fachleuten für Entwicklung und Kreativen auf der anderen Seite dazu beitragen werden, die richtigen Menschen den richtigen Arbeitsstellen zuzuordnen.

Können Sie uns mehr von dieser Plattform und ihrer Funktionsweise erzählen?

Das Projekt XR4ALL soll ein wettbewerbsfähiges, nachhaltiges XR-Technologie-Ökosystem in Europa schaffen. Wir zielen darauf ab, eine europaweite XR-Technologie-Gemeinschaft aufzubauen, eine Bestandsaufnahme für vorhandene XR-Technologien in der EU zu machen, eine Forschungsagenda zu entwickeln, innovativen Technologieprojekten Finanzhilfe bereitzustellen und Investitionen und den Technologietransfer auszuweiten, damit Produkte tatsächlich auf den Markt gebracht werden können.

Wie sieht der Stand der Dinge bezüglich der Finanzierung interessanter Ideen aus?

Wir haben 50 Projekte für XR4ALL ausgewählt. Jedes einzelne davon durchlief eine erste Phase mit einer Finanzierung in Höhe von 10 000 EUR, in denen die Unternehmen gebeten wurden, die technologische Umsetzbarkeit ihrer Lösung zu bestätigen und ihr Geschäftspotenzial auszuloten. Nach dieser ersten Phase wurden 25 Projekte ausgewählt, die zur zweiten Phase mit entsprechenden Finanzmitteln in Höhe von 40 000 EUR übergingen. Die Projekte wurden in drei Kohorten eingeteilt. Die erste Kohorte ist abgeschlossen und acht Projekte haben ihre Lösung bereits auf den Markt gebracht. Die zweite und dritte Kohorte sind noch im Gange. Wir gehen davon aus, dass die Produkte aus weiteren 17 Projekten bald Marktreife erlangen werden.

Was sind insgesamt Ihrer Meinung nach die bislang wichtigsten Ergebnisse des Projekts?

Im Laufe von nur zweieinhalb Jahren konnte XR4ALL eine einzigartige europäische Marke etablieren, die wichtige Interessengruppen in der XR-Gemeinschaft zusammenbringt. Über 1 000 verschiedene Fachleute haben sich als Mitglieder der XR4ALL-Gemeinschaft angemeldet, während 17 Einrichtungen und Verbände als assoziierte Mitglieder teilnehmen. Innerhalb der Gemeinschaft selbst wurden Botschafterinnen und Botschafter ernannt sowie Interessengruppen eingerichtet, die sich mit konkreten Themen befassen. Wir haben über 50 einflussreiche Menschen angesprochen und 30 erklärten sich bereit, eine Rolle als Botschafterin oder Botschafter einzunehmen. Inzwischen bilden und leiten sie gemeinsam mit anderen XR4ALL-Mitgliedern 14 Interessengruppen, in denen über Kanäle interagiert und diskutiert wird, die eigens für diesen Zweck eingerichtet wurden. Wir riefen auch zwei jährlich stattfindende XR4ALL-Veranstaltungen und zwei Foren für Technologieprojekte ins Leben, um die Gemeinschaft zusammenzubringen und Start-up-Unternehmen mit Investoren in Kontakt zu bringen. Schließlich erstellte unser Projekt eine offene Ausschreibung, um Dritte anzulocken, auszuwählen und finanziell zu unterstützen, die neue XR-Lösungen entwickeln. Zu solchen Lösungen zählen zum Beispiel: Plug-ins für Spiele-Engines wie Unity sowie grundlegende Komponenten auf Grundlage offener APIs, Standards und Frameworks wie SolAR.

Was müssen Sie bis Projektende außerdem noch in Angriff nehmen?

Eine wesentliche Aufgabe ist, alle Bemühungen von XR4ALL nachhaltig zu gestalten. In wenigen Wochen werden wir gemeinsam mit mehreren anderen Gründungsmitgliedern eine neue Dachorganisation namens XR4Europe ins Leben rufen. Das Konsortium wird alle seine Energie und Kreativität darauf verwenden, dieser gemeinnützigen Organisation als Weiterführung von XR4ALL zum Erfolg zu verhelfen.

Schlüsselbegriffe

XR4ALL, Extended Reality, XR, Gemeinschaftsplattform, Finanzhilfe, innovativ, Start-ups

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