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Interview
Inhalt archiviert am 2024-04-18

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Die Entschlüsselung der vielen Funktionen der Sprache

Manchmal kann uns die Sprache mehr über die Absichten und den Gemütszustand der sprechenden Person verraten als die Gesellschaftsform in der wir leben. Das Projekt Language Use baut auf dieser Beobachtung auf, um einen neuen metasemantischen Ansatz ins Spiel zu bringen.

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Die Metasemantik (ein Zweig der linguistischen und metaphysischen Philosophie) definiert Sprache auf Ihrer Suche nach den Grundlagen der Bedeutungsbildung im Grunde genommen als Mittel zur Kooperation. Aber ist das wirklich alles? Sicherlich hat die Sprache erheblich zum Aufstieg der Menschheit beigetragen und eine tragende Rolle bei der Einrichtung unserer unglaublich komplexen Gesellschaften gespielt. Aber da ihr Interesse durch die Arbeit ihrer Vorgängerinnen und Vorgänger geweckt wurde, konnte Jessica Keiser von der www.leeds.ac.uk (Universität Leeds) nicht umhin, zu bemerken, dass viele andere wichtige Funktionen der Sprache schon viel zu lange außer Acht gelassen wurden. Mit dem Projekt Language Use (Languages and Language Use) möchte die über die Marie-Skłodowska-Curie-Maßnahmen finanzierte Stipendiatin sich von bestehenden Ansätzen der Metasemantik abwenden und die Beziehung zwischen der Sprache und dem Handeln sowie den Geisteszuständen ihrer Sprachgemeinschaft untersuchen. Wenige Monate vor Ende des Projekts erklärte Keiser sich bereit, ihre Arbeit und Ergebnisse mit uns zu besprechen.

Ihr Projekt stellt die Vorstellung infrage, dass Sprache auf einer Konvention des kooperativen Informationsaustauschs beruht. Warum? Welche Probleme gingen damit einher?

Jessica Keiser: Diese Vorstellung ist problematisch, da sie viele allgegenwärtige Verwendungszwecke der Sprache außer Acht lässt. Beispielsweise wird Sprache nicht immer auf kooperative Weise genutzt. Oft setzen wir sie strategisch in Konfliktsituationen ein, sei es in politischen Debatten oder sogar gegenüber unseren Kindern oder in Lebenspartnerschaften. Und selbst wenn Sprache tatsächlich kooperativ verwendet wird, dient sie nicht zwangsläufig zum Informationsaustausch. Wir erzählen mit ihr u. a. Geschichten, machen Witze, knüpfen soziale Bindungen und führen Rituale durch.

Wie sind Sie auf diese Probleme gestoßen?

Es war in der Hochschule, als ich zum ersten Mal mit der Standardliteratur über linguistische Konventionen in Kontakt kam. Dort wird das etablierte Verständnis dargelegt, dass wir Sprache zum Informationsaustausch in einem gemeinsamen Projekt verwenden, um mehr über die Welt zu erfahren. Dabei wird suggeriert, dass alle Menschen nur Wahrheiten von sich geben und von anderen dasselbe erwarten. Das erschien mir sofort als krasser Widerspruch zu meinen Erfahrungen in der echten Welt. Ich würde nicht behaupten, dass ein Großteil meiner linguistischen Interaktionen zum Austausch von Informationen dient, und sehe es auf gar keinen als selbstverständlich an, dass man alles, was gesagt wird, für bare Münze nehmen kann, noch erwarte ich diese Einstellung von anderen. Daher wollte ich mehr darüber herausfinden, was traditionelle Theoretikerinnen und Theoretiker sowie die Philosophie dazu bewog, so über Sprache zu denken, und wo sie vom rechten Weg abgekommen sind.

Wie sind Sie vorgegangen, um die Beziehung zwischen der Sprache und dem Handeln bzw. dem Gemütszustand zu untersuchen, und worin besteht die Innovation Ihres Ansatzes?

Ich betrachtete, was allen Verwendungen der Sprache gemein war. Mein Ansatz unterscheidet sich dadurch, dass er nicht auf einer bestimmten Vorstellung der Funktion der Sprache beruht. Traditionelle Theoretikerinnen und Theoretiker gerieten meiner Ansicht nach auf Abwege, als sie bei ihren Untersuchungen davon ausgingen, dass Sprache dem kooperativen Informationsaustausch dient, und dann ihre Theorien auf dieser Annahme aufbauten. Tatsächlich ist das eine doch sehr trockene und wissenschaftliche Vorstellung der Sprache, die viele Fakten über die Sprache in der echten Welt ignoriert. Ich versuche hingegen den Sprachgebrauch so zu betrachten, wie er ist, statt ein Konzept seines Zwecks zu entwickeln.

Welche sind die bislang wichtigsten Ergebnisse des Projekts?

Meine Hypothese ist, dass eine gemeinsame und grundlegende Eigenschaft des Sprachgebrauchs darin besteht, die Aufmerksamkeit der Gesprächspartnerin oder des Gesprächspartners in gewisse Richtungen zu lenken. Das Hauptziel der linguistischen Kommunikation ist, die Aufmerksamkeit anderer auf bestimmte Inhalte zu lenken. Jedoch können wir dabei auf unzählig viele Endergebnisse abzielen. Vielleicht möchten wir, wie traditionelle Theorien annehmen, die Aufmerksamkeit des Publikums erlangen, um Informationen auszutauschen. Jedoch ist es auch möglich, dass wir seine Aufmerksamkeit auf etwas richten möchten, um es zum Beispiel zu amüsieren oder sogar zu täuschen oder zu manipulieren.

Was müssen Sie außerdem noch erreichen, bevor das Projekt endet?

Ich muss den Charakter der Aufmerksamkeit noch umfassender erforschen. Insbesondere bin ich an der Frage interessiert, ob Aufmerksamkeit immer bewusst auf etwas gerichtet wird. Ich glaube nicht, dass wir die Aufmerksamkeit unseres Publikums bei der linguistischen Kommunikation immer bewusst in bestimmte Bahnen lenken möchten. Manchmal haben wir nur das Ziel, ihm etwas unterbewusst zu vermitteln. Ein konkretes Beispiel wären Politikerinnen und Politiker, die fremdenfeindliche Hundepfeifen-Politik betreiben und Propaganda verbreiten. Sollte ich herausfinden, dass Aufmerksamkeit notwendigerweise bewusst auf Informationen gerichtet wird, muss ich mich zumindest in einigen Fällen auf einen schwächeren mentalen Zustand berufen, der der Aufmerksamkeit ähnelt, jedoch unbewusst vonstattengeht.

Welche langfristigen Auswirkungen auf unser Verständnis der Sprache versprechen Sie sich davon, wenn es Ihnen gelänge, einen neuen metasemantischen Ansatz vorzustellen?

Ich hoffe, dass ich ein Rahmenwerk bereitstellen kann, das es ermöglicht, über die Natur und Funktion von Sprache jenseits des kooperativen Informationsaustauschs nachzudenken. Sollte ich damit Erfolg haben, erhoffe ich mir, dass wir dadurch den Umfang unserer Betrachtung vielfältigerer linguistischer Phänomene und unser Verständnis vertiefen können. Letztendlich hoffe ich, dass diese Arbeit Projekten dienlich sein kann, die die Welt verbessern. Je besser wir zum Beispiel die Mechanismen unterdrückenden Sprachgebrauchs verstehen, desto besser sind wir dazu in der Lage, dagegen vorzugehen.

Schlüsselbegriffe

Language Use, Metasemantik, Philosophie, Kommunikation