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Inhalt archiviert am 2024-04-18

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Neue Algorithmen zur besseren Prognose des Brustkrebsrisikos

Klinische Daten von 120 000 Personen werden Frauen in ganz Europa bald dabei helfen, ihr lebenslanges Risiko, an Brustkrebs zu erkranken, einzuschätzen. Im Rahmen des Projekts BRIDGES wurde anhand dieser Daten ein Instrument entwickelt, mit dem verschiedene Risikofaktoren zu einem einzigen Risikowert zusammengefasst werden können.

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In der EU sterben jedes Jahr etwa 90 000 Frauen an Brustkrebs, obwohl die Wirksamkeit der Erstbehandlungen relativ hoch ist. Bei denjenigen, die eine genetische Veranlagung haben, kann die Krankheit durch verstärkte Vorsorgeuntersuchungen, Chemoprophylaxe oder präventive chirurgische Eingriffe verhindert werden. Aber selbst für die vorsichtigsten und am besten informierten Frauen sind diese Bemühungen immer noch ein Glücksspiel. Das Problem ist, dass die Krebsrisiken, die mit den meisten Genvarianten verbunden sind, immer noch unbekannt oder mit großen Unsicherheiten behaftet sind. Um eine bessere Beratung und Betreuung der Patientinnen zu ermöglichen, brauchen die Ärzte zuverlässigere Bewertungsmethoden. Das Projekt BRIDGES (Breast Cancer Risk after Diagnostic Gene Sequencing) wurde 2015 ins Leben gerufen, um eine genauere Identifizierung von Frauen mit hohem Brustkrebsrisiko zu ermöglichen. Peter Devilee, Koordinator des Projekts im Namen des Universitätsklinikums Leiden (LUMC), spricht über die bahnbrechenden Ergebnisse des Projekts und die erwarteten Auswirkungen auf die zukünftige Krebsbehandlung.

Welche Hindernisse bestehen noch bei der Zuordnung spezifischer Gene zum Brustkrebsrisiko?

Peter Devilee: Wir sind seit einiger Zeit in der Lage, ein Gen maßgeblich mit dem Brustkrebsrisiko in Verbindung zu bringen, aber es gibt tatsächlich ein Problem mit den Konfidenzintervallen der Effektstärken, die im Allgemeinen zu breit sind. Außerdem wurden die bisherigen Assoziationsanalysen an zu kleinen Stichproben durchgeführt, was bedeutet, dass einige der festgestellten Assoziationen irreführend sein könnten. Eine wichtige Frage im Vorfeld unseres Projekts war, wie diese Effektstärke am besten bestimmt werden kann, da viele der bestehenden Ansätze statistische Verzerrungen mit sich bringen. Das Haupthindernis ist die Stichprobengröße sowie die Notwendigkeit einer umfassenden und genauen Beschreibung der Patientenanamnese.

Wie sollen diese Probleme Ihrer Meinung nach überwunden werden?

Wir haben in unserem Projekt zwei Dinge vorgeschlagen: Das erste Ziel besteht darin, die Assoziation von Brustkrebs mit jedem Gen, das von kommerziellen Unternehmen in ihren „Onkogen-Panels“ getestet wird, in einer sehr großen Reihe von Fällen und Kontrollen zu untersuchen. Das zweite Ziel konzentriert sich auf die Gene, die bereits eindeutig mit Brustkrebs in Verbindung gebracht wurden: Wir wollen ihre Effektstärke mit größtmöglicher Genauigkeit abschätzen, sprich, wir wollen versuchen, die bestehenden Konfidenzintervalle einzugrenzen. Wir haben zuvor einen sehr großen Fall-Kontroll-Datenbestand mit DNA-Proben und erweiterten klinischen Daten aufgebaut, der über 120 000 Personen aus der Normalbevölkerung umfasst, was uns einen Vorsprung verschafft hat.

Haben Sie auch andere Datenquellen genutzt?

Nein, aber für das Projekt mussten wir die DNA-Sequenzierung der Gene aller Personen erstellen, die an unseren Studien teilnahmen. Angesichts der großen Stichprobengröße – die es 2014 bei der Konzeption des Projekts noch nie gegeben hatte – mussten wir eine Methode entwickeln, die einen sehr hohen Durchsatz bei sehr geringen Kosten pro Probe ermöglicht. Schließlich gelang es uns, 35 Gene zu einem Preis von unter 10 EUR pro Probe zu sequenzieren.

Was sind die wichtigsten Ergebnisse des Projekts?

Im Rahmen des Projekts ist es uns gelungen, die Konfidenzintervalle für die fünf „wichtigsten“ Brustkrebsgene einzugrenzen: BRCA1, BRCA2, PALB2, CHEK2 und ATM. Vier weitere Gene (BARD1, RAD51C, RAD51D, TP53) wurden ebenfalls eindeutig als „Brustkrebsgene“ erkannt. Für Frauen, die eine genetische Beratung erhalten, wird dies wichtige klinische Auswirkungen haben. Bei 19 Genen wurde ein Zusammenhang mit Brustkrebs ausgeschlossen, obwohl die Möglichkeit besteht, dass diese Gene mit einem sehr geringen Risiko verbunden sind (aufgrund der Seltenheit ihres Vorkommens konnten Risiken <2-fach ausgeschlossen werden). Für mehrere andere Gene fand die Studie suggestive Assoziationen, beispielsweise mit bestimmten Subtypen von Brustkrebs wie dem Östrogenrezeptor-negativen Brustkrebs, der bestimmte prognostische Merkmale aufweist. Größere Folgestudien müssen nun klären, ob diese Zusammenhänge tatsächlich bestehen oder nicht.

Wie funktionieren Ihre Online-Instrumente genau? Wer kann sie nutzen?

Die Ergebnisse unserer Studie werden derzeit in ein Online-Instrument namens CanRisk integriert. Der Algorithmus, der hinter diesem Instrument steht, heißt BOADICEA und wurde von einem der Partner von BRIDGES, der Universität Cambridge, entwickelt. Dieses Instrument kombiniert verschiedene genetische und nicht genetische Risikofaktoren (wie Familienanamnese, BMI, Hormonstatus, Parität und so weiter) zu einem einzelnen Risikowert. Anhand dieses Wertes wissen Frauen, wie hoch ihr Risiko ist, im Laufe ihres Lebens an Brustkrebs zu erkranken. Jede beliebige Person könnte theoretisch das Instrument nutzen, aber derzeit ist die Eingabe der Variablen so streng protokolliert und anspruchsvoll, dass es für Gesundheitsdienstleister, beispielsweise für Fachleute für Genberatung, gedacht ist.

Welchen konkreten Nutzen hat das für die Patientinnen?

Das Instrument ist vor allem für gesunde Frauen gedacht, die der Entstehung von Brustkrebs vorbeugen möchten. Dazu gehören beispielsweise Frauen, die ein Risiko vermuten (etwa weil ihre Mutter an Brustkrebs erkrankt war) und Präventionsmaßnahmen wie Prophylaxe, intensivere Vorsorgeuntersuchungen oder eine Anpassung des Lebensstils in Betracht ziehen. Bei Brustkrebspatientinnen könnte das Instrument helfen, die Wahrscheinlichkeit einer erneuten Brustkrebserkrankung zu prognostizieren, aber diese Funktion befindet sich noch in der Entwicklung.

Welche Folgemaßnahmen planen Sie gegebenenfalls?

Da das Instrument extern validiert und als Medizinprodukt mit der CE-Kennzeichnung versehen wurde, kann es in Familienkliniken für Krebserkrankte eingeführt werden, und mehrere Zentren prüfen bereits seinen Einsatz. Wir müssen herausfinden, wann es eingesetzt werden soll, wie es eingesetzt werden soll und wie die Betroffenen auf dieses Wissen über ihr persönliches Risiko reagieren werden. Eine weitere potenzielle Auswirkung steht im Zusammenhang mit den in vielen EU-Ländern durchgeführten bevölkerungsweiten Brustkrebs-Screening-Programmen. Diese werden in der Regel Frauen angeboten, die ein bestimmtes Alter erreicht haben, aber viele haben sich für eine risikobasierte Teilnahme an diesen Programmen ausgesprochen, die sich als kosteneffektiver erweisen sollte. Dies ist jedoch nicht so einfach, wie es klingt. Wir brauchen mehr Belege für die Wirksamkeit unserer Lösung, und das setzt große Anstrengungen der Bevölkerung voraus, bei denen Einzelpersonen genetische Daten zur Verbesserung ihrer Gesundheit nutzen können. Diesem Thema wird im neuen Gesundheitsprogramm Horizont Europa viel Aufmerksamkeit gewidmet.

Schlüsselbegriffe

BRIDGES, Brustkrebs, Algorithmen, klinische Daten, Genvarianten, Vorhersage

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