Die Individualität der Synapsen
Das menschliche Gehirn besteht aus etwa 85 Milliarden Neuronen, die durch eine Kombination aus elektrischen und chemischen Signalen miteinander kommunizieren und uns in die Lage versetzen, uns zu bewegen, zu denken und zu fühlen. Der Begegnungspunkt, an dem diese Kommunikation stattfindet, wird Synapse genannt. Jede Synapse überträgt Signale, doch nicht alle Synapsen tun dies gleichermaßen. Dies ist seit langer Zeit ein ungelöstes Rätsel. Die Forschungen des EU-finanzierten Projekts Dyn-Syn-Mem warfen jedoch ein neues Licht auf die innere Funktionsweise des Nervensystems. „Wir wollten verstehen, wie die Nano-Organisation und die Mobilität der Neurotransmitter-Rezeptoren an den Synapsen die funktionelle Spezialisierung der neuronalen Verbindungen bestimmen“, erklärt Daniel Choquet(öffnet in neuem Fenster), Forscher am Französischen Nationalen Zentrum für wissenschaftliche Forschung(öffnet in neuem Fenster) (CNRS) und an der Universität Bordeaux(öffnet in neuem Fenster), dem koordinierenden Partner des Projekts. Das Projektteam wurde vom Europäischen Forschungsrat(öffnet in neuem Fenster) unterstützt.
Neue Erkenntnisse zu Informationsverarbeitung, Lernen und Gedächtnis
Mit dem Schwerpunkt auf Glutamatrezeptoren vom Typ AMPA (AMPARs), den Hauptvermittlern schneller Erregungsübertragungen, wurden im Rahmen des Projekts hochmoderne Verfahren der superauflösenden Bildgebung, der Einzelpartikelverfolgung und der Molekulartechnik entwickelt und angewandt, um die Rezeptordynamik in intaktem Gehirngewebe sichtbar zu machen, zu manipulieren und zu analysieren. „Durch die Kombination dieser Instrumente mit physiologischen und verhaltensbiologischen Tests konnten wir untersuchen, wie die Rezeptororganisation im Nanomaßstab die Informationsverarbeitung, das Lernen und das Gedächtnis beeinflusst“, erläutert Choquet.
Auswirkungen auf das Verständnis des kognitiven Verfalls
Der multidisziplinäre Ansatz des Projekts führte zu einer Reihe transformativer Erkenntnisse. Das Gedächtnis betreffend haben die Forschenden frühe nanoskalige Defekte in der AMPAR-Dynamik identifiziert, die dem neuronalen Verlust und dem kognitiven Verfall vorausgehen. Dies macht sie zu vielversprechenden Biomarkern oder Therapiezielen. Im Rahmen des Projekts wurde auch ermittelt, dass AMPARs in dynamischen Nanoclustern, so genannten Nanodomänen, organisiert sind und dass diese Nanodomänen die synaptische Stärke und Plastizität steuern, indem sie die lokale Rezeptorkonzentration abstimmen. „Wir haben entdeckt, dass sich die Eigenschaften dieser Nanodomänen von Synapse zu Synapse unterscheiden und eine molekulare Signatur verleihen, die die funktionelle Identität jeder einzelnen Synapse festlegt“, fügt Choquet hinzu. Neben diesen wissenschaftlichen Erkenntnissen wurden für das Projekt innovative molekulare Werkzeuge und quantitative Bildgebungspipelines entwickelt, die nun von Forschenden auf der ganzen Welt zur Untersuchung der Rezeptorfunktion bei Gesundheit und Krankheit eingesetzt werden.
Das Konzept der synaptischen Vielfalt neu definiert
Das Konzept der synaptischen Vielfalt wurde von Dyn-Syn-Mem neu definiert. „Anstatt Synapsen als einheitliche Gebilde zu betrachten, haben wir jetzt gelernt, dass die nanoskalige Verteilung und Mobilität der Rezeptoren die Art und Weise bestimmt, wie einzelne Synapsen auf Aktivität reagieren“, merkt Choquet an. Choquet zufolge ist diese Entdeckung entscheidend, um zu verstehen, wie das Gehirn Informationen verschlüsselt und speichert. „Dank unserer Arbeit sind Veränderungen in der Nano-Organisation der Rezeptoren jetzt als frühe Ursachen für kognitive Störungen bei Krankheiten wie Alzheimer, Chorea Huntington und Autismus-Spektrum-Störungen anerkannt“, sagt er. Darüber hinaus unterstützt die Projektarbeit wichtige EU-Prioritäten im Bereich der Neurowissenschaften und des gesunden Alterns und bietet neue konzeptionelle und technologische Grundlagen für die Behandlung von Gehirnerkrankungen.
Von der Rezeptordynamik zu Gehirnerkrankungen
Auf dem weiteren Weg zur Behandlung von Gehirnerkrankungen untersuchen die Forschenden, wie pathologische Zustände des Gehirns – wie chronischer Stress, Neuroinflammation, Alterung oder genetische Mutationen – die Organisation der Synapsen im Nanomaßstab verändern. Außerdem testen sie, ob die Wiederherstellung der physiologischen Rezeptordynamik durch gezielte Eingriffe die kognitive Funktion in Krankheitsmodellen retten kann. „Das nächste Ziel ist translational – die Anwendung der Erkenntnisse über die Rezeptordynamik auf Gehirnerkrankungen“, so Choquet abschließend.