KI-gesteuerte Entscheidungshilfe für ältere Menschen
Die Bevölkerung in Europa und weltweit altert, was dazu führt, dass immer mehr ältere Menschen mit mehreren chronischen Krankheiten leben müssen. Diese Menschen leiden häufig unter nachlassender Leistungsfähigkeit, Gebrechlichkeit und bedürfen komplexer Betreuung in Pflegeheimen oder in häuslicher Umgebung. Ärztliches Personal in Kliniken muss täglich Entscheidungen über Behandlungen und Interventionen treffen, aber in den üblichen klinischen Studien werden selten derart komplexe Bevölkerungsgruppen erfasst. Damit klafft eine Lücke zwischen den verfügbaren Erkenntnissen und den Bedürfnissen der Patientinnen und Patienten in der Praxis.
Prognosemodelle aus realen Daten erstellen
Das Team des EU-finanzierten Projekts I-CARE4OLD(öffnet in neuem Fenster) nimmt sich dieser Herausforderung an und konzipiert ein Instrument zur Entscheidungsunterstützung für Angehörige der Gesundheitsberufe und Verantwortliche der Politik. „Dieses Entscheidungshilfeinstrument wurde entwickelt, um Veränderungen im funktionellen Bereich, das Auftreten kritischer Ereignisse und die individuellen Auswirkungen des Beginns oder des Abbruchs bestimmter Interventionen vorherzusagen“, erklärt Projektkoordinator Hein van Hout. Das Gemeinschaftsunternehmen erhielt reale Daten aus mehreren Ländern aus den interRAI-Bewertungen(öffnet in neuem Fenster), einem Paket strukturierter Instrumente, die weltweit zur Überwachung der Gesundheit, des funktionellen Bereichs und der Inanspruchnahme von Dienstleistungen bei älteren Menschen eingesetzt werden. Diese Bewertungen sind länderübergreifend genormt, um einheitliche und vergleichbare Daten zu gewährleisten. Das Team von I-CARE4OLD trainierte anhand dieser Daten KI-Modelle, um sowohl kurz- als auch langfristige Ergebnisse mit hoher Genauigkeit zu prognostizieren. Die Vorhersagegenauigkeit erreichte 80 %, und die Forschenden validierten die Robustheit der KI-Modelle anhand von Datensätzen aus verschiedenen Ländern. Überdies erprobten 150 Fachleute in sieben Ländern das I-CARE4OLD-Entscheidungsunterstützungsinstrument und empfanden es als hilfreich und einfach nutzbar. „Unsere KI-Modelle gestatten nicht nur eine bessere Vorhersage des Krankheitsverlaufs, sondern auch der Behandlungsergebnisse und bringen die personalisierte Pflege für ältere Erwachsene der täglichen Praxis einen Schritt näher“, betont van Hout.
Schlüsselergebnisse
Zu den bemerkenswertesten Erkenntnissen der Analyse gehörte die Wirkung des Absetzens bestimmter Psychopharmaka(öffnet in neuem Fenster). Das Absetzen der Antipsychotika führte bei vielen Pflegebedürftigen zu weniger Krankenhausaufenthalten und zu einem verbesserten Gesamtzustand. Die Analysen ergaben außerdem, dass nichtpharmakologische Interventionen den gleichen oder sogar einen größeren Nutzen als die Verabreichung von Medikamenten bewirken können. Zu beachten ist, dass die Modelle aufzeigten, welche älteren Menschen eher von bestimmten Arzneimitteln, etwa Antidepressiva, profitieren und welche ein höheres Risiko aufweisen, durch Behandlungen wie beispielsweise mit anticholinergen Wirkungen Schaden zu nehmen. Neben den Auswirkungen der Behandlung untersuchte das Projektteam auch die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie(öffnet in neuem Fenster) auf ältere Pflegebedürftige. Diese Analysen verdeutlichten die Gefährdung dieser Gruppe während Gesundheitskrisen und unterstrichen die Bedeutung von Prognoseinstrumenten, um Risiken vorherzusehen und Präventionsmaßnahmen zu lenken.
Umsetzung und Maßstabsvergrößerung
Die wichtigste Errungenschaft von I-CARE4OLD besteht darin, dass demonstriert wurde, dass künstliche Intelligenz (KI) personalisierte Vorhersagen aus großmaßstäblichen, realen Daten generieren und diese dem ärztlichen Klinikpersonal in Form eines praktischen Instruments zur Verfügung stellen kann. Diese Innovation liefert nicht nur Informationen für die klinische Praxis, sondern auch einen Leitfaden für Verantwortliche der Politik, die versuchen, den Medikamenteneinsatz zu optimieren und gezielte Maßnahmen für die komplexesten und anfälligsten älteren Bevölkerungsgruppen zu entwickeln. Das Konsortium verfolgt nun das Ziel, den Anwendungsbereich der Vorhersagealgorithmen zu erweitern, um mehr Behandlungen, sowohl pharmakologische als auch nichtpharmakologische, abzudecken, und diese in zusätzlichen Datensätzen zu validieren. Um den Maßstab der Datenerfassung zu erweitern, arbeitet das Team mit InterRAI-Softwareanbietern weltweit zusammen, um die Entscheidungshilfe in vorhandene Bewertungssysteme zu integrieren. Mit dem Einsatz dieses Instruments in allen Gesundheitssystemen wird dazu beigetragen, unangemessene Verschreibungen zu reduzieren, die Lebensqualität zu verbessern und das gesündere Altern zu fördern.