Elefantenrüssel überwinden die Kompromisse zwischen Kraft und Flexibilität in der herkömmlichen Robotertechnik
Elefantenrüssel sind stark und doch empfindlich – ihre dicke, faltige Haut ist zäh und ermöglicht einen bemerkenswerten Tastsinn. Dadurch können Elefanten im Umgang mit Gegenständen ein Gefühl für Texturen, Kräfte und Formen entwickeln. Flexible Bewegungsabläufe und taktiles Wahrnehmungsvermögen gehen Hand in Hand, um vielseitige Greifaufgaben zu erledigen, ohne dass steife Gelenke erforderlich sind. Das EU-finanzierte Projekt PROBOSCIS(öffnet in neuem Fenster) hat sich das Ziel gesetzt, die Art der Objekthandhabung durch Roboter zu revolutionieren und Soft-Robotik-Systeme zu schaffen, die von der Geschicklichkeit, Anpassungsfähigkeit und Widerstandsfähigkeit der Natur inspiriert sind.
Wie die Rüsselmechanik die Roboterkonstruktion unterstützt
Im Schutzgebiet „Adventures with Animals“ in Südafrika arbeiteten die Forschenden eng mit trainierten Elefanten zusammen, um zu untersuchen, wie ihre Rüssel mit Objekten unterschiedlicher Form und unterschiedlichen Gewichts umgehen. Das Team der Universität Genf verwendete hierzu eine genaue Aufzeichnung der Rüsselbewegungsabläufe(öffnet in neuem Fenster). In Italien, im ZooSafari in Fasano, maßen Forschende des Istituto Italiano di Tecnologia und der Scuola Superiore Sant'Anna die Greifkräfte(öffnet in neuem Fenster) unter Verwendung von speziell angefertigten Objekten bzw. wurde das Greifverhalten des Rüssels untersucht. Die Forschung wurde in Zusammenarbeit mit Elefantenpflegepersonal durchgeführt, um das Tierwohl zu gewährleisten. Um die Struktur und die komplexe Anatomie des Rüssels besser zu verstehen, führten die Forschenden hochauflösende bildgebende und Gewebeanalysen an Rüsseln von Elefanten durch, die im Zoo Zürich eines natürlichen Todes gestorben waren. Inspiriert von diesen Erkenntnissen entwickelte das IIT-Team künstliche Muskeln, flexible Aktuatoren und eine taktile Haut für einen Roboterarm. Von der Hebräischen Universität Jerusalem entwickelte Funktionsmaterialien(öffnet in neuem Fenster) wurden für schaumstoffähnliche Komponenten im kleinen Maßstab aus dem Drucker verwendet, während der KMU-Partner Photocentric 3D-Druckverfahren zur Herstellung weicher Komponenten für den Roboter im großen Maßstab entwickelte.
Mehr Flexibilität mit weniger Komponenten
„Wir haben schließlich einen leichten Soft-Robotik-Arm von fast einem Meter Länge entwickelt, der zum Greifen von Objekten gebogen, gedreht und gekrümmt werden kann, indem er diese umwickelt. Dies wurde mit nur wenigen Aktoren erreicht, die die Fähigkeit des Elefanten nachahmen, komplexe Bewegungen mit einfachen Strategien auszuführen“, erklärt Projektkoordinatorin Lucia Beccai. Im Gegensatz zu modernen Kontinuumsarmen, die oft mit Problemen wie mechanischen Verwerfungen oder der Herausforderung, Gewicht und strukturelle Steifigkeit in Einklang zu bringen (insbesondere im größeren Maßstab), zu kämpfen haben, überwindet diese Konstruktion solche Probleme. Diese Herausforderungen erklären wahrscheinlich, warum sich große Kontinuumsarme in industriellen Anwendungen noch nicht durchgesetzt haben.
Warum Elefantenrüssel ein ideales Modell für die Robotertechnik sind
Das Team aus Genf kartierte die komplexe Muskelverteilung in Elefantenrüsseln und enträtselte, wie diese komplexe Struktur gesteuert wird. „Elefanten vereinfachen diese Komplexität, indem sie Teile des Rüssels versteifen, um die Bewegung auszuführen. Es scheint so, dass die Kraft, die auf ein Objekt ausgeübt wird, im entfernten Teil des Rüssels fein abgestimmt ist", erklärt Beccai. Die Haut des Rüssels besteht aus verschiedenen Schichten, die Festigkeit, Elastizität und Schutz bieten und gleichzeitig überaus empfindlich bleiben. Diese Eigenschaften erklären, wie der Rüssel Kraft und Feinfühligkeit in Einklang bringt, und somit ein perfektes Modell für die Robotertechnik darstellt. Die Studie zeigte auch, dass Elefanten konsistente, sich wiederholende Bewegungsmuster und Berührungsrückmeldungen für die effiziente Interaktion mit Ihrer Umwelt nutzen. Dies diente als Inspiration für Steuerungsstrategien, die Robotern dabei helfen, Objekte noch intuitiver und anpassungsfähiger erfassen und handhaben zu können.
Soft-Robotik revolutioniert diverse Branchen
Die Innovationen von PROBOSCIS stellen fortschrittliche, vielseitige Greifer für diverse Anwendungsbereiche in Aussicht, darunter das Fertigungswesen, Gesundheitswesen und Rettungswesen. „In der Fertigung könnten weiche, anpassungsfähige Manipulatoren in Zukunft verschiedene Objekte, auch verformbare Gegenstände, handhaben, während sie in der Lebensmittelverarbeitung Obst und Gemüse sorgsam sortieren und prüfen könnten, ohne Schäden zu verursachen“, erläutert Beccai. „Im Gesundheitswesen könnten sie älteren oder behinderten Menschen bei Aufgaben wie dem Heben oder Tragen von Objekten helfen. Letztlich könnten diese Roboter bei Rettungseinsätzen Trümmer beseitigen, Opfer erkennen und unter schwierigen Bedingungen wie Rauch oder Dunkelheit betrieben werden, wo herkömmliche Systeme versagen.“