Altreifen: vom Abfall zur wertvollen Ressource
Hochwertige recycelte Materialien aus Altreifen für Neureifen und zugängliche Altreifen-Rohstoffe sind nicht ausreichend. Seit 2020 werden weltweit jährlich etwa 1,6 Milliarden Altreifen, insgesamt 26 Millionen Tonnen, zu Abfall, wobei 3,5 Millionen Tonnen davon auf Europa entfallen. Außerdem werden 50 % der in Europa gesammelten Reifen zur Verwertung in andere Länder exportiert. Obwohl in Europa 90 % der Altreifen gesammelt werden, enden die meisten in der Energierückgewinnung oder nicht als Reifen dienenden Anwendungen wie auf Spielplätzen und als Gummiwaren. Aufgrund der unzureichenden Qualität kommt nur ein kleiner Teil in der Neureifenproduktion zum Einsatz.
Vier zentrale Herausforderungen
Da Reifen hochtechnische Produkte sind, muss bei ihnen ein Gleichgewicht zwischen Sicherheit, Lebensdauer und Energieeffizienz erzielt werden. Um diese Normen insbesondere beim Ersetzen fossiler Materialien ohne Leistungseinbußen aufrechtzuerhalten, sind innovative Technologien zur Verarbeitung von Altreifen zu hochwertigen Rohstoffen gefragt. Die Maßstabserweiterung der Labortechnologien für Reifenanwendungen ist auch für die Bereitstellung großer Mengen neuer Rohstoffe von entscheidender Bedeutung. Es sind Investitionen und Fachwissen zur Entwicklung von Verfahren erforderlich, die eine gleichbleibende Qualität gewährleisten. Der Wettbewerb mit den etablierten fossilen Rohstoffen stellt jedoch eine Herausforderung dar, da bei diesen die Produktivität optimiert wurde und sich die Investitionen amortisiert haben. „Die neue Wertschöpfungskette erfordert weitere Investitionen und Optimierungen, und es ist ungewiss, ob die Verbraucherinnen und Verbraucher für Reifen mit Recyclinggehalt mehr zahlen werden. Daher ist es von zentraler Bedeutung, die Wertschöpfungskette für Neureifen zu verbessern und dabei eine vollständige Valorisierung ihrer Ergebnisse zu gewährleisten“, erklärt Jean-Michel Douarre, Koordinator des EU-finanzierten Projekts BlackCycle. Letztlich muss die Lebenszyklusanalyse der neuen Wertschöpfungskette die der fossilen Materialien und aktuellen Recyclingmethoden wie beispielsweise der Energierückgewinnung übertreffen, ohne neue Umweltprobleme zu verursachen.
Die wichtigsten technologischen Durchbrüche
Das Team von BlackCycle hatte sich zum Ziel gesetzt, eine Kreislaufwirtschaft für Reifen aufzubauen, indem Altreifen in hochtechnologische Sekundärrohstoffe umgewandelt werden. Es wurden neue Technologien entwickelt und die gesamte Wertschöpfungskette optimiert, um Ressourcenverschwendung zu vermeiden und die Auswirkungen auf die Umwelt zu minimieren. Im vorgelagerten Teil der Wertschöpfungskette führten die Projektpartner ein innovatives Dekonstruktionsverfahren ein. Für den Prozessabschnitt, bevor die Reifen vollständig zerlegt werden, wurden bei MICHELIN zwei Maschinen entwickelt, um wertvolle Gummikomponenten zu separieren. Mit einer Innengummischleifmaschine wird Innengummi extrahiert, um mikronisiertes Gummipulver herzustellen, das für neue Reifen wiederverwendbar ist. Eine Außengummischneidemaschine dient dem Schneiden des Laufflächengummis, der dann zu Ölen und höherwertigem recyceltem Ruß weiterverarbeitet wird. Auch aus dem Laufflächengummi könnte reines mikronisiertes Gummipulver hergestellt werden. Diese sorgfältige Trennung erhöht den Materialwert und fördert das Recycling. Die verbleibenden Anteile des Reifens werden zu Metall-, Textil- und Gummigranulat verarbeitet, um weiteren Zwecken zu dienen. Das Gummigranulat wird einer Pyrolyse unterzogen, einem Hochtemperaturprozess ohne Sauerstoff, bei dem es in Gas, Öl und feste Bestandteile zerlegt wird. Das Gas treibt den Prozess an, während die festen Komponenten rückgewonnenen Ruß und Mineralien ergeben. Das als Reifen-Pyrolyseöl bekannte Öl, auch als Reifen-Rohteer bezeichnet, ist reich an Kohlenstoff und Wasserstoff. Die Schnecken- und Wanderbettverfahren wurden verfeinert, um die Ölqualität zur Produktion hochwertiger Materialien zu optimieren. Die Produktion hochwertiger Sekundärrohstoffe erfordert eine Raffination von Reifen-Rohteer, die einen Destillationsschritt beinhaltet. Bei diesem Verfahren wird der Reifen-Rohteer in schweren Reifenteer und leichten Reifenteer getrennt. Der schwere Reifenteer ersetzt fossile Brennstoffe im ORION-Ofenprozess zur Erzeugung von nachhaltigem Ruß, einem qualitativ hochwertigen Produkt, das dem Vergleich mit handelsüblichem Ruß standhält. Leichter Reifenteer wird weiterführend zu Harz-Reifenteer destilliert, der limonenreich ist und zur Herstellung von s-resin, einem von MICHELIN entwickelten technischen Weichmacher, genutzt wird.
Eine tragfähige Wertschöpfungskette
„Durch die Entwicklung von fünf neuen Prozessen und vier neuen Sekundärrohstoffen reduziert das Team von BlackCycle die Treibhausgasemissionen im Vergleich zu den traditionellen Methoden der energetischen und chemischen Verwertung erheblich. Die neuen nachhaltigen und zurückgewonnenen Rußsorten emittieren während ihres gesamten Lebenszyklus weniger CO2 als neuer Ruß“, fasst Jean-Michel Douarre zusammen. „Zudem führt die Rückgewinnung des mikronisierten Gummipulvers aus Innengummi zu dreimal geringeren CO2-Emissionen als die Herstellung von neuem Innengummi.“
Schlüsselbegriffe
BlackCycle, nachhaltiger Ruß, Wertschöpfungskette, Kreislaufwirtschaft, MICHELIN, Altreifen, mikronisiertes Gummipulver, Weichmacher, Pyrolyse, Destillation.