Intelligentere Chirurgie für Kinder mit Schädelfehlbildungen
Kraniofaziale Anomalien bei Säuglingen, die mit einer vorzeitigen Fusion der Schädelknochen einhergehen, werden unter dem Begriff Kraniosynostose(öffnet in neuem Fenster) zusammengefasst. Eines von 1 700 Neugeborenen ist davon betroffen. Die daraus resultierenden Schädeldeformierungen können zu schwerwiegenden gesundheitlichen Komplikationen wie Sehstörungen, Entwicklungsverzögerungen und Atemproblemen führen. Herkömmliche chirurgische Verfahren zielen darauf ab, den Schädel neu zu formen und dadurch den Druck zu mindern, wozu in der Regel externe oder interne Geräte verwendet werden. Die Ergebnisvorhersage für diese Operationen ist jedoch aufgrund der unterschiedlichen Knocheneigenschaften und der komplexen biomechanischen Wechselwirkungen nach wie vor schwierig.
Hochpräzise Berechnungsmodelle
Das ERC-finanzierte Projekt CAD4FACE wollte ein rechnergestütztes Rahmenwerk für die Simulation von Kinderschädeln entwickeln und kraniofaziale chirurgische Eingriffe patientenspezifisch steuern. Hierfür war es ein wichtiges Ziel, die biomechanischen Eigenschaften der Schädelknochen bei Kindern mit Kraniosynostose zu verstehen. Zu diesem Zweck entnahm das Forschungsteam bei Operationen im Great Ormond Street Hospital(öffnet in neuem Fenster) mehr als 300 Knochenproben von über 250 Kindern. Diese Proben wurden einer hochauflösenden Bildgebung unterzogen und mechanisch getestet, um die strukturellen und materiellen Eigenschaften der Knochen bei den betroffenen Kindern zu untersuchen. Die gewonnenen Daten wurden in rechnergestützte Modelle eingespeist, die die Umformung des Schädels nach der Operation simulieren und patientenspezifische Operationsergebnisse vorhersagen. Zudem wurden retrospektive Daten zum Kopfwachstum von kranioplastischen Operationen in das Modelltraining einbezogen. „Durch die Kombination hochauflösender Bildgebung mit biomechanischen Tests von Kinderschädelproben konnten wir Modelle erstellen, die die postoperative Schädelform mit hoher Genauigkeit simulieren können“, erklärt die leitende Forscherin Silvia Schievano.
Projekt-Innovationen
Mehrere der von CAD4FACE entwickelten Instrumente werden derzeit von der Forschungsphase in die klinische Anwendung eingeführt. Ein bemerkenswerter Durchbruch war die Entwicklung neuer kraniofazialer Geräte aus Nitinol(öffnet in neuem Fenster), einer Formgedächtnislegierung. Diese Geräte, die durch In-silico-Tests entwickelt und optimiert wurden, üben eine kontinuierliche, sanfte Kraft auf den Schädel aus. Sie bieten somit eine weniger ruckartige Alternative zu herkömmlichen Stahllösungen. Außerdem wurde im Rahmen des Projekts ein Modell für maschinelles Lernen entwickelt, das anhand mehr als 3 000 simulierten virtuellen Operationen trainiert wurde. Dieses KI-Werkzeug kann chirurgische Ergebnisse in Echtzeit vorhersagen und bietet ein schnelles Entscheidungshilfesystem für klinische Fachkräfte. „Wir haben die Ingenieure und den Rechenaufwand ausgeklammert“, betont Schievano. „Chirurgen können unmittelbar Rückmeldung darüber erhalten, wie sich verschiedene chirurgische Optionen auf die Kopfform auswirken, was eine sicherere Planung ermöglicht.“ Über Simulationen hinaus hat CAD4FACE Pionierarbeit bei der Integration von virtueller und erweiterter Realität in der kraniofazialen Chirurgie geleistet. Mithilfe dieser Instrumente können Chirurgen Eingriffe aus der Ferne planen, voraussichtliche Ergebnisse visualisieren und sogar optimierte Operationspläne während des Eingriffs direkt auf den Kopf des Patienten projizieren. Virtuelle Realität wird zudem eingesetzt, um die Kommunikation mit den Familien zu verbessern, indem ihnen die Erkrankung ihres Kindes und die zu erwartenden Ergebnisse auf zugänglichere Art und Weise veranschaulicht werden. Mit Blick auf die Zukunft sagt Schievano: „Die Integration von Technologien wie rechnergestützte Modellierung, maschinelles Lernen und erweiterte Realitäten wird die kraniofaziale Chirurgie verändern, indem sie personalisierter, sicherer und ergebnisoptimierter wird. Dies ist besonders wichtig für Kinder, die mit kraniofazialen Anomalien geboren werden und bei denen Präzision und Langzeitwirkung von größter Bedeutung sind.“
Einsatz und Zukunftsaussichten
Mehrere Projektinnovationen haben die translationale Reife erreicht und sind bereit für eine breitere klinische Umsetzung. Die Instrumente der virtuellen und erweiterten Realität werden in Lehr- und Ausbildungskursen eingesetzt, um die Einführung der personalisierten Operationsplanung in ganz Europa zu unterstützen. Das neue Nitinol-Gerät befindet sich in der Zulassungsphase für die Erstverwendung bei Kindern, während die Zusammenarbeit mit Industriepartnern im Gange ist. Das Team plant, in Zukunft die Modelle des maschinellen Lernens zu erweitern, Geräte der nächsten Generation zu erforschen und die Validierung ihrer Werkzeuge durch klinische Studien fortzusetzen. Dank der CAD4FACE-Pipeline hoffen sie, die kraniofaziale Chirurgie zu personalisieren und die klinischen Ergebnisse für Kinder mit Kraniosynostose zu verbessern.
 
           
         
             
        
                     
         
         
        